Das Arzneimittel Zytotec wurde in vielen deutschen Kliniken zur Wehenförderung eingesetzt, obwohl es für den Einsatz in der Geburtshilfe gar nicht zugelassen war. Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Bayrischen Rundfunks im Frühjahr 2020 zeigten, dass es nach der Gabe von des Arzneimittels Cytotec zu schweren Komplikationen kommen kann. Dazu gehören hoher Blutverlust, ein Wehensturm, das Reißen der Gebärmutter, Gehirnschädigung des Neugeborenen durch Sauerstoffunterversorgung oder gar der Tod der Mutter oder des Kindes. Cytotec ist eigentlich ein Magenschutzmittel. Es regt aber auch Gebärmutter an, weshalb es auch bei Abtreibungen und zur Weheneinleitung in der Geburtshilfe eingesetzt wird.
Der Hersteller Pfizer nahm das Medikament im Jahre 2006 vom deutschen Markt. Pfizer schrieb der Süddeutschen Zeitung auf Anfrage, es gäbe keine Studien mit ausreichender Evidenz, die eine Anwendung in der Geburtshilfe rechtfertigen würden. Es kam jedoch über drei Importeure wieder in die deutschen Kliniken.
Zwar empfiehlt auch die Weltgesundheitsorganisation den Einsatz des Arzneimittels Zytotec in der Geburtshilfe, jedoch nur in Dosen von 25 Mikrogramm. Im klinischen Alltag wird jedoch mit wesentlich höheren Dosen gearbeitet, oft die doppelte oder die vierfache Menge. Der Leiter der Geburtshilfe an der Universitätsklinik Wien meint, dass das Cytotec nur aus Kostengründen in den Krankenhäusern eingesetzt wird.
Bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte liegen nur unvollständige Informationen zu unbeabsichtigten Nebenwirkungen vor, weil Ärzte die Komplikationen nur selten melden. Das liegt auch daran, dass die Ärzte sich damit selbst beschuldigen müssten, das Arzneimittel außerhalb seines zugelassenen Verwendungszwecks eingesetzt zu haben. In einem der süddeutschen Zeitung vorliegenden Fall, wurde nicht einmal der Tod der Kindsmutter dem BfArM gemeldet.Die Gesundheitsbehörden in den USA und in Frankreich warnten seit Jahren vor Cytotec.
Seit Frühjahr 2021 wird das Arzneimittel nicht mehr nach Deutschland importiert. Seit September 2020 gibt es das Arzneimittel Angustin mit dem Wirkstoff Misoprostol, welches für den Einsatz in der Geburtshilfe zugelassen worden ist. Es darf nur in einer Dosis von 25 Mikrogramm und in einer maximalen Menge von 200 Mikrogramm in 24 h eingenommen werden.
Am 2.07.2020 verurteilte das Landgericht Berlin erstmals eine Klinik wegen des Einsatzes von Zytotec mit der Folge eines schweren Gehirnschadens des Kindes zur Zahlung von 300.000 Euro Schadensersatz ( LG Berlin Az. 6 O 425/12). Der Kindsmutter wurde nicht über die Art der Belastung und die Schwere des Eingriffs sowie die spezifischen Risiken einer Geburtseinleitung durch Zytotec vermittelt. Es erfolgte keine ordnungsgemäße Aufklärung hierüber - so das Landgericht Berlin.In einem weiteren Musterverfahren klären wir derzeit die Frage, ob neben dem Kind auch der Kindsmutter ein eigener Schadensersatzanspruch zusteht.
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