Die Hüftimplantate mit Varicon-Schaftsystem wurden inzwischen vom Markt genommen. Im Jahre 2009 lag die Bruchrate dieses Modells bei 4-5% aller eingesetzten Prothesen. Der Kläger hatte beantragt festzustellen, dass der beklagte Hersteller für alle seine materiellen und immateriellen Schäden zu haften habe. Die Beklagte argumentierte, dass ein konkreter Schaden des Klägers nicht nachgewiesen sei. Das Kammergericht verwies jedoch auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, welches für eine Produkthaftung es als ausreichend ansieht, wenn das Produkt aus einer Serie stammt, die fehlerhaft ist. Das Kammergericht sah die die Bruchrate von 4-5% als Fehler im Sinne des Produkthaftungsgesetz an, weil eine solche Bruchrate nicht den Sicherheitserwartungen genügt, die an solche Produkte gestellt werden. Es bestehe deshalb eine Produkhaftung der Herstellers nach dem Produkthaftungsgesetz.
KG Berlin Urteil vom 28.08.2015 - Az. 4 U 189/11
Im Jahr 2017 ließ das Landgericht Freiburg einen Importeur für die Revisionsoperation einer Hüftprothese haften. Es nahm wegen des erhöhten Metallabriebs einen Fehler des Produktes an. Der Fehler wäre zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens erkennbar gewesen. Es hat der Klägerin auch ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro zugesprochen.
LG Freiburg Urteil vom 24.04.2017, Az.: 6 O 359/10
Zur Annahme eines Fehlers reicht es aus, wenn bei Geräten einer Serie von Herzschrittmachern eine Fehlfunktion festgestellt wurde. Zwar wurde bei 46.000 Geräten nur in vier Fällen ein Fehler nachgewiesen werden. Bei Herzschrittmachern sei die besondere Funktion und die besondere Gefährlichkeit eines Ausfalls für den Patienten zu beachten. Es bestünde die Gefahr, dass im Fall lebensgefährdender Herzrhytmusstörungen diese nicht erkannt werden und die Abgabe von lebensrettender Stromstöße unterbleibt. Deshalb sei eine Haftung des Herstellers bei Herzschrittmachern bereits dann gegeben, wenn die Serie als fehlerhaft eingestuft werde. Es braucht dann nicht die Fehlerhaftigkeit des einzelnen Produkts festgestellt werden.
BGH Urteil vom 9.6.2015 - Az. VI ZR 327/12
Ein zum Schadensersatz verpflichtender Medizinproduktefehler kann auch bei einem Fehlerverdacht vorliegen. Übersteigt die Ausfallwahrscheinlichkeit das Vielfache vergleichbarer Modellbaureihen, dann haftet der Hersteller für die mit die Kosten des vorsorglich durchgeführten Produkttausches. Es muss also nicht der Nachweises des Defektes des konkreten Exemplars erbracht werden. Es reicht die Fehlerhaftigkeit der Serie des Medizinproduktes.
OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2010 - 21 U 163/08
Vor dem Landgericht Karlsruhe wurde eine Klage gegen einen Arzt eingereicht, der Brustimplantate des französichen Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) eingesetzte hatte. Des Weiteren wurde die Klage auch gegen einen Zulieferer des fehlerhaften Industriesilikons, die französische Haftpflichtversicherung von PIP, den TÜV Rheinland und die Bundesrepublik Deutschland erhoben. Letzere weil das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und und Medizinprodukte (BfArM) Warnhinweisen nicht rechtzeitig nachgegangen sein soll. Der TÜV Rheinland wurde verklagt, weil er seiner Prüfpflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Das Landgericht hat die Klage gegen den Arzt abgewiesen, weil im Jahre 2007 noch nicht bekannt war, dass es sich um fehlerhafte Produkte handele. Die Klage gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurde schon vorher zurückgenommen, ebenso wie die gegen den Zulieferer. Die Klage gegen die französische Haftpflichtversicherung wurde abgewiesen, weil diese die Haftung zulässigerweise auf Haftungsfälle in Frankreich beschränkt hätte. Die Klage gegen den TÜV Rheinland wurde mit der Begründung abgewiesen, diese hätte ihre Prüfpflichten nicht verletzt. Es hätte keine Verdachtsmomente für die Verwendung von Industriesilikon gegegeben. Eine Verpflichtung zu unangemeldeten Kontrollbesuchen hätten nach damaliger Rechtslage nicht bestanden. Das Landgericht Karlsruhe hat die Klage abgewiesen.
Hinweis: Der Bundesgerichtshof hält diese Ansicht für zweifelhaft - siehe unten.
Im französischen Marseille hat der Strafprozess wegen Betrugs gegen Jean-Claude Mas, den früheren Chef der Firma PIP, begonnen. Ein Urteil steht noch aus.
Das Handelsgericht Toulon hat den TÜV-Rheinland wegen Verletzung seiner Pflicht zur Kontrolle und Wachsamkeit zum Schadensersatz gegenüber den Betroffenen in Höhe von jeweils 3.000 € verurteilt. Der TÜV-Rheinland hat jedoch ein Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, so dass es jetzt zu einem Berufungsverfahren kommt.
Eine Klage gegen den TÜV Rheinland wegen der Verletzung von Prüfpflichten hat das Landgericht Frankenthal (Az. 6 O 304/12) abgewiesen.
Das OLG Zweibrücken hat dieses Urteil bestätigt (Urteil vom 30.01.2014 Az. 4 U 66/13). Das OLG hat jedoch die Revision zugelassen, weil die Entscheidung von der des Handelsgerichts Toulon abweicht und in Deutschland mehr als 5.000 Frauen betroffen sind.
Es wurde Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt (Az. des laufenden Revisionsverfahrens VII ZR 36/14):
Der Bundesgerichtshof hatte den Fall mit Beschluss vom 9.4.2015 Az. VII ZR 36/14 dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
Haftet die zur Prüfung und Überwachung benannte Stelle nach der Richtlinie über Medizinprodukte auch unmittelbar gegenüber dem Patienten
Ergibt sich aus der Richtlinie eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht?
Hat die benannte Stelle auch die Pflicht Geschäftsunterlagen des Medizinprodukteherstellers zu prüfen?
Reichen angekündigte Besuche aus oder hat die benannte Stelle auch unangemeldete Inspektionen durchzuführen?
Das Verfahren ist war beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-219/15 anhängig. Der Europäische Gerichtshof hat wie folgt entschieden:
Die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.06.1993 (Medizinprodukterichtlinie) in der Fassung vom 29.9.2003 enthält keine Pflicht der benannten Stelle unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen oder Geschäftsunterlagen zu sichten. (EUGH, Urteil vom 16.2.2017 - Rs. C-219/15 (Schmitt))
Der Bundesgerichtshof entschied dann in Konsequenz, dass der TÜV Rheinland keine rechtliche Verpflichtung hatte, vor Dezember 2008 eine unangemeldete Inspektion durchzuführen, in diesem Zusammenhang die Geschäftsunterlagen des französischen Herstellers zu sichten und eine Produktprüfung vorzunehmen (BGH Urteil vom 22.6.2017, Az.: VII ZR 36/14).
OLG Frankfurt hält Beschränkung des Versicherungsschutzes
von Brustimplantatprodukten auf einen Mitgliedsstaat für einen diskriminierenden Verstoß gegen EU-Recht; OLG Frankfurt legt den Fall dem EUGH vor
Der Hersteller von Brustimplantaten hatte eine Haftpflichtversicherung, die einen Direktanspruch des Geschädigten gegen die Versicherungim Schadensfall vorsah, wenn der
Schadensfall in Frankreich oder in den überseeischen französischen Gebieten eintritt. Die in Deutschland wohnende Klägerin erhob mit der Begründung Klage gegen die Versicherung, eine solche
Beschränkung sei eine europarechtswidrige Diskriminierung. Das LG Frankfurt hatte die Klage zunächst abgewiesen. Das OLG Frankfurt schloss sich jedoch der Auffasssung der Klägerin an und legte den
Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union vor. Das OLG Frankfurt ist der Ansicht eine solche Beschränkung stelle eine unzulässige indirekte Diskriminierung dar. (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.9.2018 - 8 U 27/17)